Sonntag, 15. März 2009
Das Grauen von Winnenden
Dies wird kein lustiger Artikel. Nein, er wird bitterernst, geht es doch um ein Thema, welches mich und auch die ganze Nation zutiefst erschüttert hat: Das Blutbad von Winnenden, bei dem dem 17-jährigen Tim Kretschmer in seiner alten Schule und seiner anschließenden Flucht 15 unschuldige Menschen zum Opfer gefallen sind.
Über die Motive des Täters kann man zur Zeit nur Vermutungen anstellen, aber eigentlich gleichen sich die Profile solcher Amokläufer doch ziemlich oft: Er wollte wohl stark sein, mächtig, bewundert und gefürchtet! Wollte über Leben und Tod entscheiden; jemand sein, den man anbettelt, doch noch leben zu dürfen und für den man alles, wirklich alles, tun würde, damit er einem gnädig das Leben schenkt! Einer, bei dem auch der bisher Stärkste in den Staub kriecht und unter dem Eindruck einer an den Kopf gehaltenen Pistole winselt, das man ihn verschonen möge! Ja, Tim Kretschmer wollte stark, allmächtig und berühmt sein - ganz sicher! Er war vielleicht, wie so viele andere Amokläufer, zeitlebens unzufrieden mit sich selbst, mit seiner Rolle im Leben und damit, was andere in ihm sahen. Er hielt sich vermutlich selbst für unglaublich stark, empfand aber, dass er von anderen nur verlacht und verkannt wurde. Es ist anzunehmen, dass Tim K. sich aufgrund von Demütigungen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens zu ertragen hat, in eine tiefe Obsession steigerte und dadurch eine Rolle annahm, die er zuletzt nicht mehr ertragen konnte.
Ein jämmerlicher Schwächling
Dabei manifestierte er mit der der darauf folgenden Wahnsinnstat für sich doch erst wirklich genau jene Rolle, der er mit dem fürchterlichen Blutbad wohl eigentlich entkommen wollte: die des jämmerlichen Schwächlings, des Taugenichts, eines Menschen auf dessen Namen man ausspuckt.
Möglicherweise hat er für sich aber dennoch erreicht was er wollte: Er konnte seine perverse Fantasie, der Blutrichter vieler Menschen zu sein, für ein paar Stunden ausleben. Nach Augenzeugenberichten handelte Tim K. absolut gelassen und souverän; zielte in aller Ruhe, drückte mit regungsloser Miene ab. Die meisten Opfer wurden per Kopfschuss aus nächster Nähe hingerichtet.
Es dreht sich einem der Magen um bei dem Versuch, sich die grauenhaften Szenen vorzustellen, die sich an diesem Vormittag in dem beschaulichen Ort abgespielt haben müssen; sich vorzustellen, wie ein Mensch, der nur noch von dem einen Gedanken umtrieben wird, nämlich möglichst viele Leben für immer auszulöschen, seine um Gnade winselnden und wehrlosen Opfer eiskalt anblickt, abdrückt und zusieht, wie ein Mensch ein letztes Mal zuckt, seinen letzten Atemzug macht und mit einer Kugel im Kopf in sich zusammensackt. Wie krank muss ein Mensch sein, um daraus eine Befriedigung zu erlangen? Für normale Menschen ist all das nicht nachvollziehbar. Wir bleiben alle mit der Frage "Warum?" zurück und müssen hilflos ertragen, was passiert ist.
Ein nie endender Schrecken für die Angehörigen
Das Schlimmste ist aber die Tatsache, dass der Täter sich für immer in das Leben der Angehörigen der Opfer eingebrannt hat. Sie werden mit dieser Last leben müssen und auch zu ertragen haben, dass die Namen der Opfer schnell vergessen, der Name des Täters aber im kollektiven Gedächtnis haften bleiben wird. Ein Beispiel hierfür ist das Massaker von Erfurt vom 26. April 2002: Hätte sich Robert Steinhäuser damals einfach nur selbst erschossen, würde heute kein Hahn mehr danach krähen. So aber nahm er bei seinem Amoklauf noch 17 Menschen mit sich, bevor er sich selbst richtete. Robert Steinhäuser kennt daher heute fast jeder. Er hat sogar einen eigenen Artikel in der Wikipedia. Gibt es für Sie einen eigenen Artikel bei Wikipedia? Oder für mich? Nein! Aber für einen dreckigen und feigen Mörder gibt es einen! Die Opfer haben selbstredend keine eigene Artikelseite und werden auch im Artikel zu Robert Steinhäuser nicht namentlich erwähnt. Das Wikipedia-Beispiel ist hier nur exemplarisch, zeigt aber die zutiefst kranke Inversion der Aufmerksamkeitspirale bei Tätern und Opfern.
Wenn es anschließend um die Frage geht, wie solche Taten zukünftig verhindert werden können, überschlägt sich die Politik erwartungsgemäß wieder mal mit allerlei Forderungen und zeigt wild mit den Armen rudernd, dass sie in Wahrheit genau so hilflos ist, wie wir alle: Der Standardaufschrei findet bei solchen Taten traditionell auf den Gebieten "Waffengesetz" und "Killerspiele" statt - was zunächst auch logisch erscheint. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass der Gesetzgeber immer dann an eine Grenze stösst, wenn er zwar Gesetze erlässt - das deutsche Waffenrecht beispielsweise gehört zum schärfsten der Welt -, dieses aber nicht eingehalten wird, wie im aktuellen Fall, wo zwar das Gros an Waffen ordnungsgemäß im Tresor deponiert war, eine einzelne Waffe nach Ansicht des Vaters jedoch unbedingt im Nachtschränkchen liegen musste, um im Falle eines Einbruchs für den dingfest gemachten Ganoven ohne großen Zeitverlust sofort das Exekutionskommando stellen zu können.
Bei den "Killerspielen" sieht der Gesetzgeber mit einer Altersbeschränkung ebenso vor, dass Kinder und Heranwachsende mit solchem Material nicht in Berührung kommen. Neben der freiwilligen Selbstkontrolle der Industrie tut sich hier besonders die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hervor, die der Veröffentlichung jeden Mediums, welches geeignet wäre die Psyche der Kinder und Jugendlichen zu schädigen, genau regelt. Die Bundesprüfstelle nimmt ihre Aufgabe sogar so genau, dass sie den Akt zwischen zwei erwachsenen Menschen, also Pornografie, und daneben Videos und Spiele, die mit schlimmster Gewaltanwendung protzen, auf eine Stufe stellt. Das eine ist ein völlig menschlicher und natürlicher Vorgang, das andere abstossend und widerlich. Für Berufsmoralisten ist es ein und dasselbe.
Wie dem auch sei, auch mit einer Indizierung, die das Erwerben solcher Produkte streng regelt und beim Kauf einen Altersnachweis erfordert, lässt sich das Problem nachlässiger Eltern natürlich nicht umschiffen.
Eltern, die nicht wissen was ihr Nachwuchs treibt, was für Spiele ihre Kinder spielen, aus welchen Quellen diese Spiele stammen und für welches Alter diese geeignet sind, lassen alle Bemühungen des Gesetzgebers wirkungslos verpuffen. Als Folge davon rufen viele Politiker deshalb nach einem Totalverbot für Killerspiele und Gewaltvideos. Wer das aber fordert, muss sich anschließend auch fragen lassen, ob er auf einem Meskalin-Trip ist, oder andere bewusstseinsverändernde Drogen nimmt - oder ganz schlicht: einfach nur blöd ist!
Ist ein Totalverbot für Gewaltmedien überhaupt möglich?
Eine kleine Bestandsaufnahme zeigt nämlich folgendes: Es sind nicht deutsche Spieleschmieden, die für Killerspiele verantwortlich sind - und es sind keine deutschen Produktionen, die die schlimmsten Gewaltvideos produzieren. Diese Produkte bringt nämlich vornehmlich der "American way of life" hervor, bei dem zwar jeder Vollidiot sein persönliches Waffendepot besitzen darf und eine große Sammlung von Gewaltverherrlichenden Medien zum guten Ton gehört, das Zeigen von Arsch und Titten im Fernsehen oder das Benutzen unflätiger Wörter aber eine ungeahnte Welle der Empörung nebst Strafverfolgung auslösen.
Wer also nach einem Totalverbot schreit, sollte sich, bevor er das tut, zunächst einmal Gedanken darüber machen, wie realistisch denn die Umsetzung einer solchen Forderung wohl ist und dann lieber vornehm schweigen. Fakt ist nämlich: Wir leben in einer globalisierten und vernetzten Welt. Demzufolge kann man Warenflüsse nur schwer, und wenn es sich um digitale Waren wie Spiele und Programme handelt, den Warenfluss praktisch gar nicht kontrollieren.
Ein gutes Beispiel ist das Spiel "GTA - San Andreas", Teil einer beliebten Spielreihe der Firma Rockstar-Games. Als dieser Titel Anfang 2007 in Deutschland erschien, erhielt er eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren. Diese Altersfreigabe erhielt es jedoch auch nur deshalb, weil das Spiel im Gegensatz zum amerikanischen Original in puncto Gewalttätigkeit für den deutschen Markt erheblich abgeschwächt wurde. Der Grund hierfür liegt natürlich darin begründet, dass indizierte Spiele in Deutschland nicht beworben und frei verkauft werden dürfen. Angesichts der Entwicklungskosten für ein Spiel sind die aus einr solchen Restriktion resultierenden Verkaufszahlen für den Hersteller natürlich nicht tragbar, deshalb gibt es in Deutschland regelmäßig solche entschärften Titel.
Bei "GTA - San Andreas" spielt man eine Figur, die man durch eine riesige, Los Angeles nachempfundene Stadt steuert, und die sich in zahlreichen Missionen mit verfeindeten Gangs und anderen Bösewichten herumschlagen muss und so einen kometenhaften Aufstieg in der Gangster-Szene hinlegen kann. Das Spiel lebt von seiner dichten Atmosphäre, einer spannenden Hintergrundstory, toller Musik und aufregenden Autofahrten durch die fiktive Großstadt. Zwar wird auch in der entschärften deutschen Version noch geballert und getötet, was das Zeug hält. Völlig unterschiedlich ist jedoch der moralische Aspekt des Tötens, der nun vorgeschrieben und nicht mehr frei wählbar ist, sowie die Darstellung der Gewalt: Während man in der deutschen Version ausschliesslich auf andere Gangster, die entweder zuerst auf einen schiessen oder sich zumindest mit einer Waffe verteidigen können, schiesst und hierbei auf die Darstellung riesiger Blutlachen verzichtet wird, besteht in der amerikanischen Version die Möglichkeit, wehrlose Passanten zu töten, um sie auszurauben - oder einfach nur zum Spaß. Dieses Töten kann auch durch reine Schläge geschehen: geht das Opfer nach einer Schlagsalve zu Boden, kann man es mit gezielten Tritten auf den Kopf töten, wobei diese abstossende Szenerie noch anschaulich mit einer riesigen Blutlache untermalt wird.
Beschnittene Versionen für den deutschen Markt sind wirkungslos
Nun kann man sagen: Na schön, da ist doch schon eine wichtige Einschränkung und eine akzeptable Reduzierung der Gewalt. Was aber hilft das schon? Zum einen spielen bereits Grundschüler solche Spiele und zum anderen ist es mittlerweile eine völlige Selbstverständlichkeit geworden, sich für derartig beschnittene Spiele aus deutschen Landen im Internet einen "Blood-Patch" zu ziehen. Das Suchen eines solchen Patches und das Herunterladen und Installieren für San Andreas dauert keine fünf Minuten und das Blutbad kann losgehen!
Gleichzeitig wirft bei solchen Verbotsschreien auch immer die Gemeinde der Spieler solcher Titel ihre Empörungsmaschinerie an. Aber nicht aus dem Grund, weil ein Verbot unsinnig ist, da nicht zu kontrollieren, sondern mit der Behauptung, dass solche Titel harmlos seien und keinesfalls als Erklärungsversuch für solche Wahnsinnstaten herhalten könnten.
Ich frage Sie mal: Glauben Sie, dass ein Spiel, welches solche niederen menschlichen Instinkte bedient, für Personen, die aufgrund ihrer gestörten Persönlichkeit Allmachtsfantasien haben und nichts lieber täten, als einmal Herr über Leben und Tod zu sein, keine Inspirationsquelle darstellen? Wer das wirklich glaubt, glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.
Man kann abschließend feststellen: Der Gesetzgeber kann Richtlinien erlassen, aber letztlich obliegt es den Eltern, die Einhaltung dieser Richtlinien und Gesetze auch zu überwachen. Wer sich nicht für sein Kind interessiert und es unbeaufsichtigt gewähren lässt, versündigt sich an seinem Kind und letztlich an der Gesellschaft, wenn solche Taten wie am Mittwoch in Winnenden geschehen. Was Kinder heutzutage, in einer Welt, die scheinbar immer mehr entmenschlicht wird, mehr denn je von ihren Eltern brauchen, sind Liebe und Anerkennung - und zwar ohne Bedingungen!, sind Trost und Zuneigung, aber auch moralischer und seelischer Aufbau und die Fähigkeit der Eltern, ihren Kindern Grenzen aufzuzeigen - und zwar ohne Wenn und Aber.
Wahr ist in diesem Zusammenhang leider auch, dass viele Eltern natürlich gar nicht in der Lage sind, solche Werte auch vorzuleben und sich auch nicht darum bemühen, was auch wieder ein altes Sprichwort bestätigt: Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr!
Wenn man also im aktuellen Fall über Schuld spricht, dann darf man die Verantwortung der Eltern, insbesondere die des Vaters, nicht ausblenden. Denn: Ist es eigentlich zu viel verlangt, dass man vom Vater - immerhin ein studierter Mathematiker, bei dem man einen gewissen Intellekt voraussetzen dürfte - zu Recht hätte erwarten können, dass er, wo er von den psychischen Problemen seines Sohnes wusste, in der Lage ist, ein gewisses Gefahrenpotential zu erkennen und auch die eine Waffe, welche im Gegensatz zu den anderen Waffen im Besitz des Vaters nicht ordnungsgemäß im Tresor verschlossen, sondern im Schlafzimmer deponiert war, unverzüglich aus der Reichweite des Sohnes entfernt? Muss man eigentlich Tiefenpsychologie studiert haben um zu dem Schluss zu kommen, dass auch der eigene Sohn in Anbetracht eines auffälligen psychischen Krankheitsbildes in der Kombination mit einer Schusswaffe eine ernstzunehmende Gefahr darstellen könnte? Wo war dieser Mann in den letzten Jahren, als in den Nachrichten immer wieder auch die psychologischen Profile der Täter solcher Wahnsinnstaten seziert wurden, die letztlich immer das eine Bild zeigen, nämlich den vermeintlich nicht ernst genommenen Außenseiter, Taugenichts und mit einem absolut geringen Selbstwertgefühl ausgestatteten Narzissten, welcher ausschliesslich andere für sein Schicksal verantwortlich macht, aber niemals sich selbst? - Und der bedauerlicherweise Zugang zu Schusswaffen hat!
Wie war es im übrigen möglich, dass der Täter am Vorabend des Massakers noch "Far Cry 2" auf seinem Rechner gespielt hat? Immerhin ein Spiel ohne Jugendfreigabe, welches der 17-jährige gar nicht hätte besitzen dürfen!
Die Eltern haben auf der ganzen Linie versagt, handelten völlig verantwortungslos und tragen daher zumindest eine moralische Mitschuld an diesem Massaker! Warum der Vater überhaupt im Schlafzimmer eine Waffe deponiert hatte, scheint auf der Hand zu liegen und deckt ebenso fragwürdige Charakterzüge auf, denn eine Waffe im Schlafzimmer, am besten noch unter dem Kopfkissen, verrät eine Gesinnung, die es offenbar erlaubt, einem potentiellen Einbrecher für seine Tat unverzüglich mit dem Tode zu bestrafen, zumindest aber in guter Wild-West-Manier eine wilde Schießerei im heimischen Schlafzimmer zu veranstalten.
Waffennarren waren mir schon immer suspekt und sie werden es bleiben. Das Märchen vom "Sportschützen", der im Verein einfach nur seiner Leidenschaft frönt und nichts böses im Schilde führt, endet leider viel zu oft mit einem schrecklichen Ende, denn wie in jedem Märchen gibt es in der Zugriffsweite dieser Waffen Gut und Böse: Für die einen ist es ein Sport- und für die anderen ein Mordwerkzeug!
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