Montag, 15. September 2008

Wagner der Zauberer

Falls Sie Franz-Josef Wagner nicht kennen, macht das gar nichts. Im Gegenteil: Es zeichnet Sie sogar aus, denn das lässt hoffen, dass Sie morgens etwas anderes lesen, als die "Bild". Ja, Franz-Josef Wagner arbeitet bei der Blöd-Zeitung und gibt dort jeden Tag als Kolumnist straffrei seine geistigen Verwirrungen zum Besten und das zu allem Überfluss schon seit vielen Jahren. Der Mann wurde kürzlich 65, denkt aber zur Enttäuschung vieler leider nicht ans aufhören. In grenzenloser Solidarität mit der meinigen Generation, die von Rente mit 65 nur noch träumen kann, macht er freiwillig auf Rente mit 67 und will den geneigten Lesern noch zwei Jahre erhalten bleiben. Heißen Dank, wäre doch nicht nötig gewesen! FJW, wie er kurz genannt wird, ist ein Mann, der jedes Ereignis in der Welt als Aufforderung begreift, seine immer noch ungetrübte Urteilskraft unter Beweis zu stellen und in einem Kommentar zu verwursten. Das tut er in einer anbiedernden, abgedroschenen und einfältigen Art und deshalb lieben ihn die Leser der "Bild" auch so. Auch moralisch ist er selbstverständlich über allem und jedem erhaben und steht damit Günter Grass in nichts nach. Nur bei der SS - wie Grass - war er nicht, dazu ist er zu jung, was seiner Eignung als Moralblockwart mit erhobenem Zeigefinger aber keinen Abbruch tut! Im Grunde gehen "Bild", Daniel Küblböck und Franz-Josef Wagner eine perfekte Symbiose ein: Franz-Josef Wagner sieht nicht nur aus, als wäre er - und nicht der Wagen von Daniel Küblböck - dereinst mit dem berühmt gewordenen Gurkenlaster zusammengestossen, sondern er schreibt auch genau so einen Dünnpfiff, wie ihn Küblböck singt, und die Bild-Zeitung ist sozusagen der Verteiler dieses Dünnschiss' von Wagners literarischem Mist-Bauernhof: die Güllepumpe zur Düngung der Volksdummheit. Möge sie prächtig gedeihen! Dabei ist FJW ein Mann, der die Probleme dieser Welt so erstaunlich einfach auf den Punkt bringt und mit simplen und praktikablen Vorschlägen einer Lösung zuzuführen vermag. Während David Copperfield einst die halbe Welt in Verzückung versetzte, als er vor den Augen seines Publikums einen ganzen Zug verschwinden lies und daraufhin als größter Magier aller Zeiten gefeiert wurde, erscheint er im Vergleich zu Wagners Zauberkünsten nur als ein kleiner Hütchenspieler vom Jahrmarkt. Wagner hält sich nämlich nicht erst mit Zügen auf sondern versteht es, die riesigen Problemberge eines ganzen Landes in seinem Zauberhütchen verschwinden zu lassen! Kostprobe gefällig? Am 31.03.2006 meldete sich der Volksmagier zum Thema Gewalt an Schulen; speziell der bundesweit bekannt gewordenen Berliner Rütli-Schule zu Wort. Während Kolumnisten in anderen Tageszeitungen sich im Feuilleton in seitenlangen Kommentaren mit dem Gewaltphänomen auseinandersetzten und die Lage sezierten, ohne so recht zu einer Lösung zu gelangen, verwies FJW sie mit seinem Kommentar alle auf die Plätze und verwandelte ihre Beiträge zu reiner Makulatur. In drei Sätzen erfasste er in brillanter Weise das Problem, die Ursache, und bot die Lösung an: "Ich weiß nicht, wie man diesen Verzweifelten das Wort Liebe näherbringen kann. Liebe Deinen Nächsten, liebe einen Schmetterling, liebe einfach etwas Schönes. Liebe etwas, worüber Du weinst. Das wäre ein Anfang." Amen! Das hätte auch TV-Pfarrer Jürgen Fliege nicht weniger schwülstig und realitätsverdrängend ausdrücken können, aber bei Wagner hat es eben einfach mehr Stil und den braucht ein großer Magier ja auch. Halten wir fest: Die Liebe und ihr Mangel sind die Lösung und die Wurzel allen Übels! Und: Die Schulhof-Schläger sind gar keine Täter, sondern Opfer! Um dem Tenor von Wagner zu folgen, ist ein Schüler, der die Diskussion mit einem Mitschüler oder Lehrer mittels eines gezielten Faustschlags für sich entscheidet eigentlich nur ein Verzweifelter. Verzweifeln muss man indes auch an solcher Einfältigkeit. Das Problem mit gewaltbereiten Jugendlichen, die weder Werte noch Respekt vor anderen besitzen, auf mangelnde Liebe zu reduzieren, ist schon ein großes Kunststück. Chapeau! Würden sie mehr Liebe von ihrer herzlosen Umwelt erfahren, würde es keine Jugendkriminalität geben, würden sich nicht in den Problembezirken deutscher Großstädte Gangs zusammenraufen, würde es keine Ehrenmorde mehr geben und auch keine Anschläge von Islamisten, keine Verbrechen, keinen Krieg. Die zusammengeschlagenen Lehrer und Schüler an der Rütli-Schule hätten also einfach nur mehr Zuneigung für ihre Peiniger empfinden müssen, statt gefühllos und kaltherzig zu sein und auch der vor einigen Monaten von zwei betrunkenen Ausländern in der Münchener U-Bahn fast zu Tode geprügelte Rentner hätte nur tiefe Liebe empfinden sollen, als sie mit seinem Kopf Fußball spielten und dabei "Scheiss Deutscher" grölten. Ja, so einfach ist das... Zu den großen Künsten eines Magiers gehört auch die Illusion. Wie kein Zweiter beherrscht der große Wagner daher auch die Klaviatur der Suggestion. Am 27.01.06 schrieb er über Ausländer, die die deutsche Sprache nicht beherrschen: "(...) Wenn Deutschland zu Eurem Land werden soll, dann müßt Ihr fließend Deutsch sprechen. Oder Ihr übernehmt die Rolle der Indianer in Amerika. Straßenräuber, Drogenkranke, Geächtete. Ohne Deutsch kein Schulabschluß, ohne Deutsch keine Lehrstelle, ohne Deutsch ein Indianer. (…) Eine schöne Wohnung, ein Auto in der Garage, eine Topfpflanze auf dem Balkon, geachtet von den Nachbarn – all das kriegst Du, wenn Du deutsch kannst. In unserer Sprache heißt das Glück." Die Kunst der illusionistischen Inszenierung ist es, dass sie sich nahtlos in die Realität einfügt und kohärent ist, d.h. der Empfänger nimmt die Illusion verblüfft als Teil der Realität wahr. Und so liest sich der obige Kommentar zunächst mal mit einem gewissen Kopfnicken: Natürlich sollten Ausländer deutsch lernen und damit ihren Integrationsbeitrag leisten! Die Zauberei in diesem Beitrag liegt in der geschickt verschleierten Umkehrung von Ursache und Wirkung; der Vertauschung von Tätern und Opfern. Man könnte ebenso gut aber auch zu der Erkenntnis gelangen, dass FJW gar nicht zaubern kann sondern nicht die leiseste Ahnung von der amerikanischen Geschichte hat und das Wort "Kolonisierung" erst mal nachschlagen müsste. Tun wir aber nicht, denn auch Wagner könnte recht haben und wir sind einfach nur eine Nation von Deppen: Natürlich sind die Indianer die Einwanderer gewesen, die sich weigerten, sich in ihrer neuen Heimat, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zu assimilieren und die englische Sprache zu lernen. In dessen Folge wurden sie unvermeidbar zu elenden Straßenräubern, Drogensüchtigen und Aussätzigen! Das Faktum der Ausrottung der Indianer durch Ausländer (Einwanderer) und ihre Internierung in Reservaten, wo sie von der Welt unbeachtet vor sich hinvegetieren, ihrem Land, ihrer Identität und Kultur beraubt, bleibt eine Fußnote der Geschichte, die sich mit wenigen Sätzen hinweg zaubern lässt. Nicht das noch jemand auf die Idee kommt, ein solcher Vergleich zwischen Ausländern in Deutschland und den Indianern in den USA könne nur einem Hirn entsprungen sein, dessen Besitzer fünfmal am Tag beim Öffnen einer Flasche Chantré getreu dem Werbespruch ausruft: "Oh, der weiche Chantré, mein Lieblingsweinbrand!" - denn zu viel davon macht auch extrem weich in der Birne! Madonna, die Großmutter aller Girlie-Stars, wurde vor wenigen Tagen 50, und Franz-Josef Wagner liess es sich nicht nehmen der alternden Zellulitis-Queen einen Zwischenruf zu widmen, in dem er Madonna mit Mutter Theresa auf eine Stufe hievt. Die würde sich freilich im Grabe umdrehen, aber das ficht Wagner nicht an. Madonna ist seiner Meinung nach die freieste Frau der Welt, denn immer war es so, dass nicht sie von den Männern verlassen wurde, sondern sie hat die Männer verlassen. Franz-Josef Wagner wurde auch verlassen - von allen guten Geistern!