Donnerstag, 15. Mai 2008

Deutschland sucht den Superdeppen!

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, als die erste Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“, kurz DSDS, über die Bildschirme flimmerte, aber ich weiß, dass es etwa im Jahre 2002 gewesen sein muss. Damals lag meine langjährige Beziehung zu einer Frau in den letzten Zügen und ich glaube den Gnadenstoss gab ich dieser Beziehung, als ich ihr nach „Big Brother“ auch noch verbot diesen unsäglichen Superstar-Schrott bei mir zu Hause zu sehen. Schon möglich, dass sie genau diese Einstellung dazu brachte, sich jemanden zu suchen, bei dem sie all diese Sendungen gucken konnte. Der sich vielleicht mit ihr zusammen auf dem Sofa lümmelte und sich über all die komischen Menschen, die sich da vor einem Millionenpublikum zum Gespött machten, ebenso amüsierte. Dieses Szenario erscheint mir heute sogar sehr wahrscheinlich... Mehrere Staffeln zogen so mehr oder weniger unbemerkt an mir vorüber, denn meine Einstellung zu dieser Sendung stand fest. Das Schöne aber ist - und dafür mag ich mich -, dass ich gelegentlich auch mal die Dinge einer erneuten Prüfung unterziehe, die eigentlich für alle Zeit felsenfest klar zu sein schienen. Die gerade zu Ende gegangene Staffel von DSDS war so eine Gelegenheit! Im Büro hörte ich meine Kolleginnen, die sich prächtig amüsierten: „Hast Du den Vollidioten gestern gesehen?“ und sich vergnügt noch mal die entsprechenden Filmschnipsel bei YouTube ansahen. Für mich war diese Sendung bisher dekadent und auf niedrigstem Niveau. Die Kandidaten wurden meiner Meinung nach verheizt für das große, böse Fernsehmonster, welches nur nach der Einschaltquote lechzt. Und es stimmt: Die Sendung ist in der Tat auf niedrigstem Niveau, dafür sorgt schon ein Dieter Bohlen mit seinem verbalen Rotz, den er den gescheiterten Kandidaten unverhohlen ins Antlitz spuckt. Die Frage die sich im Anschluss stellt, lautet aber: Ist das eigentlich so schlimm? Gepflegte Langeweile nach dem Casting... Interessanterweise konnte ich beim Verfolgen der aktuellen Staffel genau sagen, ab wann für mich wirklich Langeweile aufkam; nämlich, als die ersten, die wirklich singen konnten, die Bühne betraten! Rot vor Zorn saß ich vor dem Fernsehapparat und fluchte darüber, dass mir nun hier irgendwelche gegelten, gut aussehenden Sangesknaben vorgeführt wurden, denn die interessierten mich nicht die Bohne! Ich wollte wieder zurück zum Casting, wollte wieder Schadenfreude empfinden! Seien wir ehrlich: Die Schadenfreude war und ist ein Element der Unterhaltung! Schadenfreude, die gibt es bei jedem Karaoke-Wettbewerb auf Mallorca, bei jedem Tanzwettbewerb am Timmendorfer Strand und selbst im renommierten Apollo-Theater in New York kommt die Schadenfreude nicht zu kurz! Es gibt und gab sie immer, wo Menschen vor anderen Menschen ihre (vermeintlichen) Künste zum Besten gaben. Dieter Bohlen antwortete, angesprochen auf seine oftmals harsche Kritik, dass es wohl auch nicht anders gehe: „Wie macht man einem Bekloppten klar, dass er bekloppt ist?“ - Einfacher kann man es nicht auf den Punkt bringen! Ja, man mag sich sogar wünschen, dass die verbale Ohrfeige eines Dieter Bohlen für den ein oder anderen eine heilsame Lehre ist und die teilweise unfassbaren Defizite in der Selbstwahrnehmung einiger Kandidaten wieder zurechtgerückt werden. Freilich ist dies aber ein frommer Wunsch! Warum hast‘n Du so‘n beschissenes T-Shirt an? Ein Highlight in der Kategorie „gestörte Selbstwahrnehmung“ in der letzten Staffel war für mich der 30-jährige Christian Neumann, welcher im Vorspann zwar den Vergleich mit Freddy Mercury nicht scheute, allerdings schon an dieser Stelle verbalen Durchfall produzierte, obwohl er noch keinen Ton in Form von Musik von sich gegeben hatte. Christian enttäuschte auch vor der Jury nicht und erschien in einem knallbunten „DJ Bobo“-Shirt vor den Juroren. Dieses Shirt, ein Fanal an die frühen Neunziger, als sich ein gewisser Herr Baumann aus der Schweiz als DJ Bobo anschickte, die Charts trotz seines ermüdenden Gedudels in ständiger Wiederholung zu erobern, veranlasste Dieter Bohlen auch gleich dazu, den ersten Schlag zu servieren: „Warum hast‘n Du so‘n beschissenes T-Shirt an?“ Der darauf folgende Dialog ist nicht erwähnenswert, denn Christian hatte die Frage, bzw. ihre Intention schlicht nicht verstanden: „Ich find‘s gut, dass Du mich danach fragst, Dieter!“ - Da fehlten selbst Dieter Bohlen die Worte! Aber egal, Christian war ja schließlich gekommen, um zu singen - und er wollte singen! Allerdings sollte sich eine alte Weisheit wieder mal bestätigen: Kunst kommt von „K“, wie Können, und nicht von „W“, wie Wollen, denn sonst hiesse sie „Wunst“. Der Song „Terra Titanic“ von Peter Schilling sollte dran glauben! 1983 landete Peter Schilling mit diesem Titel einen großen Hit! Und warum? Nun, Peter Schilling kann singen! Und Christian? Tja, wer das nachfolgende Gekrächze mit anhören musste, der wünschte sich unweigerlich, damals mit der im Titel besungenen Titanic sang- und klanglos untergegangen zu sein, um sich diese Akustikfolter heute ersparen zu können! Andererseits hätte Christian den Dampfer seinerzeit auch selbst versenken können, wie einst die Sirenen in der griechischen Mythologie - ganz ohne Eisberg. Christian brachte nach der darauf folgenden, für niemanden (ausser Christian) überraschenden Absage der Jury noch weitere Peinlichkeiten, um im Rennen zu bleiben, wie die Demonstration einer Kopfstimme, die in meiner Vitrine Gläser vor Scham platzen liess, sowie eine Brakedance-Einlage, die für mich „fremdschämen“ neu definierte. Dies alles machte Christian für mich zum Top-Act dieser Staffel! Arme Kandidaten? Nun gibt es Stimmen, die sich gegen das Konzept der Sendung auflehnen: Die einen sagen, dass hier Menschen vorgeführt werden, die das ganze Ausmass und die Folgen nicht zu überblicken vermögen, die später mit dem Gefühl ein Versager zu sein, allein gelassen werden und die sich zudem auch noch mit ihrer Umwelt, die sie gegebenenfalls verhöhnt und verspottet, auseinandersetzen müssen. Ich lasse diese Einwände für die erste Staffel bedingt gelten. Damals war noch alles neu und wer seinerzeit nicht selbst einschätzen konnte, dass seine Sangeskünste nur dafür ausreichen, Tonbänder für Geisterbahnen zu besingen, der konnte schon mal unbedarft bei DSDS unter die Räder kommen. Alle nachkommenden Staffeln aber boten die Möglichkeit, sich an den vorher gesendeten zu orientieren: „Wer scheisse singt, bekommt auch scheiss Kritiken!“ lautet die einfache Formel, welche allerdings die „beschissenen“ Sängerinnen und Sänger nicht daran hinderte, weiterhin in Scharen bei der Jury vorzuträllern. Das zeigt uns: Es gibt eine schier unendliche Zahl von Nullen und Nichtskönnern, die leider aber selbst noch gar nichts davon wissen. Würde man ihnen verbieten zu DSDS zu gehen (wie sollte man das eigentlich anstellen?) oder würde man die Sendung als eine Soft- und Schmuseshow gestalten, wo selbst der letzte Platz zum 1553. Sieger gekürt würde, dann wäre das viel verheerender, denn man würde etwas suggerieren, was in der realen Welt nicht ist: die Wirklichkeit kennt nämlich durchaus Sieger und Verlierer und sie springt mit den Verlierern im Allgemeinen auch nicht unbedingt zimperlich um. 
Es ist daher besser, auch den Durchgeknallten, die sich selbst als große Künstler sehen, mal klar zu machen, dass sie besser wieder in die Realität zurückkehren und ihr Leben von Wunschvorstellungen lösen, die sie mit ihrem momentanen Stand nie erreichen werden. Die Botschaft kann dann nur lauten: Mach was anderes, oder investiere viel Arbeit, aber das, was Du selbst heute für großartig hälst, das ist nix! Ich jedenfalls freu‘ mich schon auf die nächste Staffel!