Mittwoch, 1. Juli 2009

Das bessere Deutschland

Haben Sie als Kind eigentlich auch so gern die Filme von Pippi Langstrumpf gesehen? Sie wissen schon, dieses kleine Mädchen, welches in der Villa Kunterbunt tun und lassen konnte, was es wollte und das nichts mehr fürchtete, als irgendwann erwachsen zu werden. Pippi war so unbeschwert und leicht, besonders dann, wenn sie wieder mal ihr Lied trällerte, in welchem es unter anderem hieß: "Ich mach' mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt".

Da die Pippi-Langstrumpf-Filme sehr beliebt waren und sind, werden sie oft und gern wiederholt. Nach dem Mauerfall müssen sie beim MDR jedenfalls in einer Endlosschleife jahrelang non-stop rauf und runter gelaufen sein, denn anders kann man nicht erklären, warum sich so viele Menschen in Ostdeutschland plötzlich die Welt - und insbesondere die Welt ihrer eigenen Vergangenheit - auch einfach so machen, wie sie ihnen gefällt.

Eindrucksvoller Beweis ist dieser Artikel bei Spiegel-Online, in dem es zum einen um das Wissen der jungen Generation in Bezug auf die DDR geht und um das Bild, welches ehemalige Bürger der DDR heute von ihr haben. Wenig überraschend dabei: Die jüngere Generation hat - die Pisa-Studie lässt grüssen! - noch weniger Ahnung von Geschichte als jemals zuvor. Wer gedacht hat, dass das mit der ersten Pisa-Studie seinerzeit zutage getretene kollektive Nicht-Wissen nicht noch gesteigert werden könne, der möge sich folgendes Zitat aus dem Spiegel-Artikel mal auf der Zunge zergehen lassen: "Etliche der 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen gaben an, dass Willy Brandt und Konrad Adenauer DDR-Politiker waren. Dass es unter Erich Honecker demokratische Wahlen gab. Die Stasi war ein Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat. Die Mehrheit aller Schüler wusste nicht, wer die Mauer gebaut hat - viele tippten auf die Bundesrepublik oder die Alliierten."

Ist das nicht fantastisch? Allein die Vorstellung, dass Adenauer 1955 zu einem kleinen Trip unter kommunistischen Brüdern nach Moskau aufbricht, um in Chruschtschows Datscha einem der legendären Saufgelage beizuwohnen, statt als deutscher Kanzler in schwieriger Mission in die Sowjetunion zu reisen, um die letzten 10.000 Kriegsgefangenen endlich nach Hause zu holen, mutet grotesk und unfreiwillig komisch an. Mit Abstand am Besten ist aber der Glaube, dass die Stasi ein Geheimdienst war, wie jeder andere auch. Diese Aussage kann man nun dahingehend deuten, dass etwa die Stasi, Ceauşescus Securitate und der berüchtigte Sigurimi-Geheimdienst von Enver Hoxha auf der einen, und BND, CIA und der Mossad auf der anderen Seite, sich nichts tun. Kann man ja leicht nachprüfen. Wer hat nicht irgendwo Verwandte und Bekannte, die bei einer Befragung durch den Bundesnachrichtendienst nicht schon windelweich geprügelt worden sind, sofern sie überhaupt wieder auftauchten?

Die andere Deutung ist hingegen viel interessanter: Nicht die Geheimdienste der westlichen Demokratien sind und waren genauso schlimm wie Stasi und Konsorten, sondern die Stasi war ihrerseits auch eingebettet in demokratische Grundordnungen und Gesetze, so wie eben der BND auch - Zensur und Überwachung fanden somit natürlich nicht völlig willkürlich statt.

Und mit diesem Tenor kann man wunderbar zur älteren Generation überleiten, die im besagten Spiegel-Artikel ihrer Empörung Ausdruck verleiht:

Die Älteren nämlich, also diejenigen, die den realen Sozialismus auf deutschem Boden noch hautnah miterleben durften, sie haben nach knapp 20 Jahren Mauerfall augenscheinlich die Nase von der seinerzeit erlangten Freiheit gestrichen voll, weil sie offensichtlich erkennen mussten, dass jenseits der Mauer nicht das sagenumwobene Schlaraffenland lag, in dem Milch und Honig fliessen, und welches nur darauf gewartet hatte, Millionen von DDR-Bürgern eine Rundumversorgung angedeihen zu lassen; ohne lästige Verantwortung des Individuums für das eigene Leben, sondern von der Wiege bis zur Bahre geplant und gestaltet vom Staat. Sozusagen eine DDR 2.0, nur diesmal mit Bananen, Urlaub am Ballermann und Autos, die diesen Namen verdienen - aber wie gehabt bitte mit möglichst wenig Eigenverantwortung!

So zitiert der Spiegel aus einigen Zuschriften, die der Interviewpartner im Artikel erhalten hatte: "Aus heutiger Sicht glaube ich, wurden wir mit dem Mauerfall aus dem Paradies vertrieben, ... Das heutige Deutschland wird als 'Sklavenstaat' oder 'Diktatur des Kapitals' bezeichnet, einige Briefeschreiber lehnen die Bundesrepublik ab, weil sie kapitalistisch oder diktatorisch, jedenfalls nicht demokratisch sei." - Zitat Ende.

Da sieht man mal, was 20 Jahre Abstand aus der Wahrnehmung mancher Menschen machen können! Man muss schon unter akuter geistiger Inkontinenz leiden, wenn man die DDR nachträglich, und im Vergleich mit der Bundesrepublik, als das "Paradies auf Erden" anpreist. Die "Argumente" der DDR-Nostalgiker sind ja auch sattsam bekannt: Es gab Arbeit für alle, Krippenplätze für alle, ein besseres Schulsystem für alle, und es gab Bautzener Senf - die dazugehörige Brühwurst hat bei meinem ersten Besuch in der DDR 1988 auch nur 40 Pfennig gekostet, das war wirklich sensationell! Als kostenlose Dreingabe gab es zudem bis 1987 die Todesstrafe; unzählige Mauertote; einen gigantischen Spitzel- und Überwachungsapparat; eine sich demokratisch schimpfende Einheitspartei, die alle anstehenden und zukünftigen Wahlen bereits im Vorfeld mit überwältigender Mehrheit gewonnen hatte und eine dilettantische Planwirtschaft, die die Staatsverschuldung ins Unermessliche steigerte und in der man ein lächerliches Plastikauto fünfzehn Jahre im Voraus vorbestellen musste.

Es ist nur in einem einzigen Punkt bedauerlich, dass die DDR nicht mehr existiert: Sie kann sich nun nicht mehr dagegen wehren, dass der Preis für die undemokratischste Diktatur auf deutschem Nachkriegsboden nach Meinung einiger Verblendeter nun nicht verdientermaßen an sie geht, sondern an die Bundesrepublik, die unverschämterweise gar nichts zur Erlangung dieses schlechten Rufs getan hat! Ja, sie taugt ja nicht mal ansatzweise als "Sklavenstaat", denn die Bevölkerung darf reisen wohin sie will und die Grenzen sind zudem löchrig wie ein Schweizer Käse!

Menschen, die die Tatsache, dass sie in der DDR eine Arbeit und für die Kinder einen Krippenplatz hatten, über dem Unrecht stellen, welches Unzählige - geschädigt an Leib, Leben und Würde - erdulden mussten, haben jeden Bezug zur Verhältnismäßigkeit verloren. Da stellt sich dann spontan die Frage, welchen guten Psychoanalytiker man ihnen vielleicht empfehlen könnte, denn sie sind offensichtlich krank und brauchen dringend Hilfe! Schläft man aber noch einmal eine Nacht darüber, so kann man auch zu der Einsicht gelangen, dass das gar nicht nötig ist, denn wer sich so die Welt zurechtbiegen kann, der ist in Wirklichkeit nicht krank, sondern unheilbar gesund!

Und so ist bei näherer Betrachtung ohnehin alles relativ und damit auch nur halb so schlimm: So war der 11. September 2001 zwar tragisch, andererseits wäre das WTC irgendwann sowieso von alleine eingestürzt, weil ja schließlich nichts für die Ewigkeit gebaut ist; das nordkoreanische Hungerregime von Kim Jong Il hält seine Bevölkerung zwar eingesperrt wie Tiere und die Menschen haben nichts zu fressen, andererseits aber hat es den weltweiten Trend zur Fettleibigkeit in seinem Land erfolgreich eingedämmt; der iranische Präsident Ahmadinedschad bastelt zwar - wie sein nordkoreanischer Diktatorkollege - fleissig an der Atombombe, und droht, Israel von der Landkarte zu tilgen, aber in Wirklichkeit geht es natürlich nur um eine zivile Nutzung der Kernenergie, weil auch die Vernichtungsdrohung gegenüber Israel schließlich nur auf einer metaphysischen Ebene gemeint war - und zu guter Letzt war die DDR eben doch kein Unrechtsstaat, sondern ein Land, dessen Führer die Bevölkerung eben nicht einsperrten, sondern mit dem "antifaschistischen Schutzwall" lediglich die Imperialisten (sofern sie keine Devisen und großzügigen Staatskredite für den ständig klammen Staat mitbrachten) aussperrte!


Wer also weiter von einem Unrechtsstaat spricht, dem seien die Worte von Stasi-Chef Erich Mielke in Erinnerung gerufen, der einst sagte: "Ich liebe doch alle Menschen!". Ja, kann denn so einer böse sein? Oder gar lügen? Nein, natürlich nicht! Und auch der Ausfall meines geplantes Picknicks am Wochenende, welches wegen des Dauerregens leider buchstäblich ins Wasser gefallen ist, war im Nachhinein betrachtet eigentlich halb so schlimm: Ich lümmelte mich stattdessen vor dem Fernseher herum und begleitete Tommy, Annika und Pippi ins Taka-Tuka-Land. Beim MDR. Versteht sich.

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