Mittwoch, 3. Juni 2009

von Antisemiten und sabbernden Hunden

Träume sind bekanntlich Schäume. Aber mal Hand aufs Herz: Wer von uns träumt nicht dann und wann davon, einmal reich und berühmt zu sein, stark und mächtig oder einfach nur irgendwer, irgendwo - nur nicht der, der man gerade ist? Der eine wäre zum Beispiel gern Volkssänger vom Schlage eines Roberto Blanco, der seine Umwelt seit Jahrzehnten straffrei mit dem immer gleichen Lied traktiert, keine Baumarkteröffnung zwischen Erding und Buxtehude auslässt, und dem nach seinem Auftritt scharenweise rüstige Mittsechzigerinnen die Bude einrennen. Der andere würde gern toll malen können oder sich als Pornostar einen Namen machen - wenn nur nicht die Ehefrau etwas dagegen hätte! Und Farin Urlaub von den Ärzten sang einmal, er wäre gern Madonnas Dickdarm.

Wieder andere träumen dagegen in größeren Kategorien: Sie halten sich nicht erst damit auf, für ihre eigene jämmerliche Existenz eine annehmbare Alternative herbeizusehnen, nein, sie träumen lieber von alten Zeiten! Denn früher, da war bekanntlich alles besser, denn es gab noch fest abgesteckte Feindbilder, und der Deutsche war noch was, wenn er bei einer Parade auf dem Ku‘damm in Uniform und Stechschritt den rechten Arm zum Gruße erhob!

Diese tiefe Sehnsucht, Antriebsfeder manch beachtenswerter Psychiatriekarriere, da bis zur Obsession gesteigert, gab es freilich immer seit dem Zusammenbruch des 1000-jährigen und dem Abgang des GröFaZ. Der Unterschied aber ist: Im Prä-Internetzeitalter war all das noch erträglich, denn die meisten dieser Spinner hat man glücklicherweise nicht wahrgenommen! Mit Aufkommen des Internet änderte sich dies jedoch schlagartig, denn plötzlich hatten die postsenilen Träumer und Ewiggestrigen eine Plattform erhalten, um ihren geistigen Unrat unter die Leute zu bringen. Aber es war trotzdem halb so schlimm: Wer sich das nicht antun wollte, der konnte ja um Seiten, wie z.B. der Homepage der NPD, einen weiten Bogen machen. Richtig schlimm wurde es erst mit dem Einführung des „Internet 2.0“.

Das Schlagwort „Internet 2.0“ steht für das „Mitmach-Internet“ und ist eigentlich eine tolle Sache: Der Nutzer ist nicht länger mehr nur Konsument, sondern immer mehr auch Produzent. So zum Beispiel, wenn er die ganze Welt bei YouTube mit einem selbst gedrehten Video vom letzten Michael Wendler-Konzert an diesem fragwürdigem Vergnügen teilhaben lässt, oder ein Fan bei Amazon die neue DVD-Box von Rosamunde Pilcher rezensiert. Es liegt aber bedauerlicherweise in der Natur der Sache, dass es auch hier Schattenseiten gibt: Wie Motten vom Licht und Fliegen von der Scheisse angezogen werden, so musste man auch im „Mittmachweb“ nicht lange warten, bis die braune Brut dort ihre Claims abgesteckt hatte.

Besonders verbreitet ist braunes Gedankengut mittlerweile in Foren, denn für lichtscheues Gesindel gibt es hier eine ideale Umgebung: Man ist anonym, muss also nicht noch großen Mut beweisen und kann so recht frei drauflos kommentieren.

Ein konkretes Beispiel aus Duisburg: Die Internetseite "derwesten.de", die Seite von WAZ und NRZ, hat auch ein solches Forum und eine Kommentarfunktion für Autorenbeiträge. Dort wurde jüngst ein Artikel veröffentlicht, in dem berichtet wurde, dass Duisburg im Spätsommer 2009 einen jüdischen Kindergarten bekommt. Der Kindergarten wird über 30 Plätze für Jungen und Mädchen verfügen und allen Kindern, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit, offen stehen. Michael Rubinstein, der Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Duisburg, beschreibt auch die finanzielle Realisierung: Die Kosten für den Umbau, in Höhe von 330.000 EUR, werden durch die Gemeinde vorfinanziert, diese erhält aber geschätzte 226.000 EUR in Form von Fördergeldern vom Land zurück, da der Kindergarten auch Kinder unter drei Jahren betreuen wird, und damit förderungswürdig ist. Soweit zu den Fakten.

Es dauerte nicht lange, da meldete sich schon der erste Kommentator zu Wort, der sich offenbar große Sorgen um die Freiheit der Kinder macht und sich wünscht, "dass diese hoffentlich nicht 'beschnitten' werden in ihren Freiheiten!". Bemerkenswert auch, wie stark manch einer bereits im Geiste beschnitten ist.

Der User "T.H." ereifert sich: "wie alle ihr extrawürstchen bekommen ;D voll geil! wird zeit das ich hier wechzieh... " (sic!) - man kann nur der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass er seine Koffer bereits gepackt hat und sich für eine Reise zum Mond entschliesst.

Der Nutzer "A.S." ist mit seinem Kommentar dagegen ein wunderschönes Beispiel für geistige Degeneration: Er wettert gegen die 226.000 EUR für die "Einrichtung eines weiteren Paralleluniversums", fragt sich, warum die katholische Kirche keine Förderung in gleicher Höhe bekommt und warum die "normalen Deutschen" den Laden (den Kindergarten) dichtmachen mussten, während die frechen Juden einfach so einen Kindergarten geschenkt bekommen.

Bei "A.S." ist das Problem, dass seine Wahrnehmung bereits völlig ausgesetzt hat. Er lässt sich daher auch von den im Artikel beschriebenen Fakten nicht täuschen, nämlich, dass der katholische Kindergarten, der sich vorher in den Räumen befand, die nun der jüdische KiGa beziehen will, nicht "dichtgemacht" wurde, sondern das dieser Kindergarten ins Forum umgezogen ist, ebenso wenig wie von der zweiten Tatsache, nämlich dass die 226.000 EUR Fördergelder an den Kindergarten gezahlt werden, weil er ein Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren anbietet und nicht, weil er jüdisch ist - denn das kann ja jeder behaupten! Und zuletzt schafft ein jüdischer Kindergarten, der allen Konfessionen offen steht und als einzige Einschränkung koscheres Essen anbietet, bereits ein "Paralleluniversum", allerdings nur ein kleines und keine unendlichen Weiten gähnender Leere, wie die, die "A.S." bewohnt.

Es sei erwähnt, dass es natürlich auch User gibt, die solche hinrissigen Kommentare auch entsprechend beantworten und die den Kindergarten als kulturelle Bereicherung sehen. Für "Spacedrummer" ist das Vorgehen gegen Taktlosigkeiten, wie erstgenannten Beispiel, jedoch automatisch ein Schuldeingeständnis, weshalb er schreibt: " (...) Wenn hier einer krank ist, dann doch wohl Ihr Duckmäuser! Wer sich schuldig bekennt, ohne es zu sein, der sollte sich in ärztliche Behandlung begeben. Ihr seid so schuldneurotisch, daß Ihr sogar den Gebrauch des Gasherdes verweigert." - das "Spacedrummer" vom Gasherd regen Gebrauch macht und auch gern mal dran schnüffelt, ist dagegen offensichtlich.

Die Hirnlosen treffen sich also zu einem trauten Stelldichein und lamentieren mal böse, dass dieser Kindergarten "unter keinem guten 'Davidstern' steht" und ereifern sich vor allem immer wieder über das liebe Geld: Haben die Juden nicht mal wieder das große Los gezogen? Bekommen einen Kindergarten, finanziert mit Staatsknete, geschenkt und besitzen noch die Chuzpe, einige Kommentare unter dem Pseudonym "JuedischeGemeinde" sehr professionell und sachlich zu beantworten, statt sich auf das angetragene Niveau herab zu begeben. Und noch schlimmer wiegt das: Unter all den anonymen Schmutzfinken wagt es der Vertreter der Gemeinde selbst anonym zu bleiben, was ihm freilich übel genommen wird. Der antwortet darauf angesprochen: "(...) Und warum ich meinen Namen hier nicht schreibe: auf solch tolle "Fanpost" in meinem privaten Briefkasten kann ich getrost verzichten!"

Man fragt sich freilich, was das für Leute sind, bei denen es bei einfachen Denkvorgängen und dem Beherrschen der deutschen Sprache und Rechtschreibung ganz oft noch schwer hapert, deren antisemitische Gesinnung hingegen schon sehr gut ausgeprägt ist. Und vor allen Dingen: Warum sind es so viele? Warum erkennt man diese Menschen sonst nicht? Ein Grund ist, dass sie auf eine gute Gelegenheit warten und sonst eher unauffällig sind. Sie sind konditioniert wie der Pawlow'sche Hund, der beim Ertönen der Klingel an Essen denkt und automatisch zu sabbern anfängt. Ebenso fangen auch die Salon-Antisemiten, die man nicht auf den ersten Blick erkennt, sofort an zu hyperventilieren - wie Matrosen, die nach sechs Monaten auf hoher See endlich in einem Puff andocken -, wenn irgendwo das Wort "Jude" fällt.

Fakt ist jedenfalls: Hätte es sich um einen katholischen oder evangelischen Kindergarten gehandelt, so hätte sich nur die übliche Handvoll Sesselfurzer aufgefordert gefühlt, einen Kommentar abzugeben, weil diese Randgruppe immer alles kommentieren muss. Die Tatsache aber, dass einem Artikel über einen Kindergarten 71 Kommentare, die meisten davon Schmierereien, gewidmet wurden, spricht hingegen eine deutliche Sprache, wie es um den Antisemitismus in Duisburg bestellt ist. Das zeigte nicht zuletzt ja auch der Duisburger Flaggenskandal, bei dem bei einer Pro-Palästina-Demonstration dem Druck des Mobs nachgegeben wurde und eine Israel-Fahne von Polizisten aus einer Privatwohnung entfernt wurde, die sich im Fenster hängend befand.

Der iranische Präsident und Holocaust-Leugner Ahmadinedschad arbeitet ja gerade an einem neuen Holocaust und will "Israel von der Landkarte tilgen". Nur mal angenommen, es käme soweit: Wohin dann mit all der Schuld am Elend dieser Welt und der Verkörperung des Bösen? Elias Canetti schrieb in seinen Aufzeichnungen: „Es wird noch Juden geben müssen, wenn der letzte Jude ausgerottet ist.“

Link zum Artikel "Duisburg bekommt jüdischen Kindergarten": http://www.derwesten.de/nachrichten/staedte/duisburg/2009/4/30/news-118416438/detail.html#736224

Montag, 1. Juni 2009

Neue Blogseite

Neue Beiträge erscheinen zukünftig nur noch auf dieser Seite. Hier können nun endlich auch Kommentare hinterlassen werden. Von den älteren Beiträgen habe ich nur wenige übernommen, so dass sich diese Seiten hier erst wieder füllen müssen. Ich würde mich freuen, wenn mir meine alten Leser treu bleiben und hoffentlich viele Neue hinzukommen. Psycho